Entscheidungsstärke: Entschlusskraft oder Qualität?

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„Entschlusskraft“ wird als eine bedeutende Fähigkeit von (künftigen) Führungskräften in Führungskräftebewertungen und auch Assessments benannt. Gemeint ist dabei einerseits der Mut und der Wille zu entscheiden – im Sinne von „voran gehen“. Andererseits wird unter dieser „Entschlusskraft“ auch die Kompetenz, rasche Entscheidungen zu treffen, um der Organisation und ihren Akteuren wieder Orientierung zu geben, verbunden. – Aber reicht Entschlossenheit bzw. Entschiedenheit aus?

Cynefin – ein Framework für Orientierung in komplexen Veränderungen

Zum Thema Entscheidungen gibt es viel Ansätze und Konzepte deren Anwendung sicherlich große Auswirkungen auf den Erfolg von Organisationen haben – denn Veränderungen sind oft komplex und unübersichtlich. Da stoßt persönliche Kompetenz an ihre Grenzen. Deshalb hat sich – neben vielen anderen (wie jüngst Daniel Kahnemann in seinem Werk „Noise“) Dave Snowden mit dieser Thematik auseinandergesetzt und zusammen mit Mary E. Boone ein Framework entwickelt, welches eine gute Orientierung für die Führungspraxis ermöglicht, um Organisationen in deren Anforderungssituationen besser zu verstehen und adäquat zu agieren.

Im Zentrum des Modells findet sich der Begriff „disorder“: Hier geht es darum in einer Analyse der Situation, die nach Entscheidung frägt, festzustellen, welche Art von Problem vorliegt. Denn davon hängt ab, welche Vorgangsweise gewählt werden sollte.
Die Schlüsselfrage lautet also: Bin ich/ sind wir in der Lage eine zutreffende Problemeinschätzung vorzunehmen? Manche neigen hier dazu sich nicht lange aufzuhalten und das am besten eingeübte Prozedere einzuschlagen – den Standardprozess anzuwenden – das kann aber rasch „im Sumpf“ enden und bedeutet oft: „zurück an den Start“. Wertvolle Zeit und Ressourcen sind vergeudet. Es wird die Situation also monokausal erklärt und bisherige Vorgehensmodelle werden auf die neue Situation unkritisch übertragen.

Cynefin Framework als Hilfsmittel

Das Framework unterscheidet fünf Kontexte. Bei jedem ist ein anderes Vorgehen angezeigt. Wenn die Führungskraft den Kontext, in dem die Organisation agiert, besser versteht, wird es leichter, diese erfolgreich Probleme zu bewältigen.
Aber der Reihe nach: Welche unterschiedlichen Probleme unterscheiden Snowden/Boone? Und welches Vorgehen ist dementsprechend für Führung angezeigt?

„einfache Situationen“:
also z.B. das Vorbereiten einer Monatsbuchhaltung, das Kochen eines Menüs
für Gäste, die Übernahme eines kleineren Unternehmens,…

Ursache und Wirkung sind hier klar erkennbar. Das Vorgehensmuster lautet hier im ersten Schritt die Fakten festzustellen, also wahrzunehmen (was ist für die Bewältigung der Fragestellung relevant), im zweiten Schritt zu überlegen, welche Regel bzw. Routine am Besten anzuwenden ist, also in welche Kategorie fällt die Fragestellung und im dritten Schritt diese Regel anzuwenden, nach bisheriger „best practice“ zu handeln.
Bei Snowden/Boome heißt es zu diesen einfachen Systemzuständen (clear): Sense – Categorise – Responde (SCR)

„komplizierte Situationen“:
also z.B. ein Hausbau, ein größeres Projekt oder der feststeckende Tanker im Suezkanal,…

Ursache und Wirkung sind hier nicht auf den ersten Blick erkennbar, aber zu vermuten. Die Fragestellungen und die Ursachen sind durch Erfahrung und fachliche Expertise identifizierbar. Mit rationalen Verfahren können Lösungsoptionen entwickelt werden. Diese Situationen sind das Feld der (meist fachlichen) ExpertInnen.

Das Vorgehensmuster lautet hier im ersten Schritt die Fakten einzuschätzen, also wahrzunehmen, im zweiten Schritt durch fachliche Analyse die kausalen Zusammenhänge zu ergründen, also zu analysieren und im dritten Schritt das Ziel festzulegen bzw. Priorisierungen vorzunehmen, zu planen, durchzuführen und zu kontrollieren, also zu agieren.
Bei Snowden/Boome heißt es zu diesen komplizierten Systemzuständen: Sense – Analyse – Responde (SAR)

„komplexe Situationen“:
das aktuelle Beispiel ist die Situation um Covid 19

Man wusste hier nicht, was man wissen sollte, um zutreffende Entscheidungen zu fällen. Auf der Basis von (mit ExpertInnen) erarbeiteten Hypothesen experimentierte man und sammelte Erfahrungen – durchaus mit dem Ergebnis im Laufe der Monate genauer und feiner zu werden. Neue Fragestellungen tauchten etwa über das Thema Mutationen auf. Die Zielsetzungen waren anfangs nicht klar definiert bzw. waren auch widersprüchlich. Es fiel das zutreffende Wort vom „Fahren auf Sicht“. Anmerkung: die Glaubwürdigkeit verschiedener AkteurInnen litt bzw. ging v.a. deshalb verloren, weil agiert und erklärt wurde, als ob mit der richtigen Expertise die Fragestellung in den Griff zu bekommen sei, was v.a. am Anfang zweifellos nicht der Fall war.

Das Vorgehensmuster lautet hier im ersten Schritt ausprobieren, also auf der Basis von ersten Hypothesen erste Versuche zu starten, im zweiten Schritt diese Hypothesen auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen und im dritten bzw. weiteren Schritten diese Vorgehensweisen auf der Basis der gemachten Erfahrungen anzupassen oder auch ganz neue Hypothesen aufzustellen. Bei Snowden/Boome heißt es zu diesen komplexen Systemzuständen: Probe – Sense – Responde (PSR)

„chaotische Situationen“:
also z.B. Explosion und Brand, Hackerangriff mit Systemversagen, Krisen bei Operationen.

Die Systeme sind also instabil, Zusammenhänge lassen sich nicht erkennen, es herrscht hoher Zeitdruck – die Notwendigkeit rasch zu handeln macht es unmöglich klare Analysen zu fahren. Aufgabe des Managements ist es, rasch zu agieren bzw. zu reagieren – Pragmatismus ist angesagt.

Das Vorgehensmuster lautet hier im ersten Schritt zu agieren und dadurch schnelle Wirkung zu erzielen, um die Situation zu stabilisieren, im zweiten Schritt die dadurch erzielten (Aus)Wirkungen zu realisieren und festzustellen, auf welche stabilen Felder man sich stützen kann und im dritten Schritt weitere darauf aufbauende Maßnahmen zu setzen mit dem Ziel, diesen Systemzustand in Richtung „komplexe Situation“ zu verlassen.
Bei Snowden/Boome heißt es zu diesen chaotischen Systemzuständen: Act – Sense – Responde (ASR)

Cynefin kennenlernen und anwenden

Mit dem Cynefin Framework liegt Führungskräften ein Modell vor, an Flughöhe zu gewinnen, um treffsichere Lösunsstrategien für bestimmte Probleme zu setzen. Es unterstützt somit Führung bei der Entscheidungsfindung und Strategieplanung.

In unseren maßgeschneiderte Workshops nutzen wir u.a. auch dieses Framework um Sie dabei unterstützen, Entscheidungsprozesse und -kompetenzen zu entwickeln und Organisationsentwicklung und Change zu gestalten.

Weiterführende Literatur & Links zum Thema

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