Von den Großen lernen… Erfahrungen bei der Einführung von Agilität in Großunternehmen – nutzbar für KMUs?

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Agile Arbeit ist inzwischen in die Jahre gekommen. Es sind über nun über 20 Jahre her, dass sich 17 Vertreter des „Extreme Programming“ auf einer Konferenz in einem ski resort in Utah auf ein Manifest geeinigt haben und dabei zum ersten mal der Begriff „agil“ verwendeten. Die in dem Manifest beschriebenen Prinzipien waren damals aber nicht neu, sondern bereits seit vielen Jahren im Einsatz. Die Ursprünge der Methode SCRUM etwa lassen sich auf Publikationen bis in die frühen 1990er Jahre zurückverfolgen und allgemein inkrementelles Arbeiten noch weiter.

Seither ist viel passiert damit. Einerseits sind die Prinzipien agilen Arbeitens aus der IT-Branche in sämtliche Bereiche der Wirtschaft verbreitet worden und haben sich auf dem Weg mit anderen bestehenden Ansätzen (zB LEAN Management und Learning Organization) verbunden. Und andererseits ist eine ganze Fülle an Tools, Methoden, Frameworks und Organisationsformen daraus entstanden, die fast schon unüberschaubar ist.

Als Organisationsberater und -beraterinnen verfolgen wir die Entwicklungen am Markt und versuchen die Erfahrungen für unsere Kunden auszuwerten. Dabei ist seit jeher eine gesunde Portion Skepsis gefragt, denn seit ihrer Einführung werden agilen Verfahren von einem ideologisch aufgeladenen Getöse begleitet. Ein regelrechter Hype ist entstanden. Das deutet darauf hin, dass hier unter Umständen Mehrwert zu heben ist, aber gleichzeitig lohnt es sich, gut und kritisch hinzuschauen.

Erfahrungen von Anwendern und Anwenderinnen

Lassen wir die Anwender*innen sprechen, scheint der gute Ruf durchaus berechtigt. Neben Software-Hersteller*innen finden sich agile Ansätze auch in Banken, Industrie oder Handelsunternehmen. Kaum eine Branche hält sich komplett fern davon. 89 Prozent der Teams, die agile Methoden nutzen, erzielen Ergebnisse, die den Aufwand rechtfertigen. In der Mehrzahl werden diese agilen Ansätze selektiv oder hybrid (also in Mischform mit klassischen Verfahren) angewandt. Ganz vorne steht dabei SCRUM (mit 84 % der meistgenutzte agile Ansatz auf Teamebene). Danach folgen Kanban, DevOps, Lean und Design Thinking. Die befragten Teams berichten von Verbesserungen bei Ergebnissen und Effizienz. Sie liefern ihre Projekte schneller ab, machen dabei weniger Fehler und gehen seltener Risiken ein, wie Prof. Kumus von der Hochschule Koblenz in einer großen Studie (600 Teilnehmende aus 20 Ländern) beschreibt.

Das stimmt zuversichtlich. Auffallend ist aber, dass bei dieser und den meisten anderen Publikationen vordergründig Teams und Teamarbeit fokussiert wird. Die Ebene der Organisation wird zumeist ausgeblendet, als könne man Organisationen als ein Zusammenspiel von Teams denken. Hier besteht unserer Meinung nach eine konzeptuelle Schwäche von Agilität, die sich vor allem dort zeigt, wo agile Methoden ins Liniengeschäft eingeführt werden.

Ergebnisse aus einem aktuellen Forschungsprojekt

Drei befreundete Kollegen von uns haben in einem großen Forschungsprojekt (45 Forscher beforschen über 2 Jahre 13 Unternehmen) die Implementierung von agilen Ansätzen untersucht. Einen ersten Bericht der Ergebnisse gaben sie Ende Jänner auf einer Tagung in Basel, mittlerweile ist auch ihr Buch dazu erschienen.

Einiges lässt sich daraus lernen. Hier ein paar erste Eindrücke, die vor allem die Perspektive der Organisation betreffen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

  • Implementierung an Überlebensfragen anknüpfen:
    Oft haben initiierte Experimente zu Beginn viel Energie, aber ein anhaltender Erfolg stellt sich erst ein, wenn die Entwicklung an Überlebensfragen gekoppelt ist, also aus Sicht der Organisation eine hohe Notwendigkeit darin gesehen wird.
  • Spiel zweier Logiken:
    Das Nebeneinander von klassischer und agiler Praxis ist nicht einfach, denn die Kooperation folgt jeweils anderen Spielregeln, also einer anderen Logik. Wird hier kein klarer Rahmen gezogen (Team A: klassisch, Team B: agil) dann entstehen Probleme aus widersprüchlichen Anforderungen. Entscheidend ist an dieser Stelle, den Rahmen selbst zu thematisieren, also Meta-Kommunikation jenseits der operativen Themen zu etablieren.
  • Führung zwischen den Stühlen:
    Vor allem für Führungskräfte ist dieses Spiel zweier Logiken anspruchsvoll, weil es ihre Entscheidungsroutinen in ungewohnter Weise durcheinanderbringt. Es entsteht daraus die Gefahr, dass agile Coaches (die die Seite der neuen Logik vertreten) eine missionarische Haltung einnehmen oder gar Führungsaufgaben übernehmen. Ein Nebeneinander von Hierarchie und Selbststeuerung stellt in jeder Interaktion die Rolle der Führungskraft in Frage. Auf der einen Seite entsteht eine Angst, Kontrolle oder Einfluss zu verlieren und der eigenen Verantwortung nicht nachzukommen. Auf der anderen Seite droht die Verletzung der Selbstorganisation im Team. Dieses double-bind überfordert und erlahmt viele Führungskräfte.
  • Teams versus Organisation
    während in den Teams flexiblere und interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie der Abbau von Hierarchie gute Früchte trägt, werden die Ergebnisse noch nicht organisationswirksam. Durch die Betonung von Teamarbeit geraten Fragen der Führung und organisationsweiten Kooperation aus dem Blick, die Organisation wird quasi trivialisiert.
  • Quo vadis Beratung?
    In kaum einer der beobachteten Unternehmen waren Berater*innen beim Vorantreiben der Veränderungen beteiligt. Das Ideal der Selbstorganisation hat möglicherweise den Gedanken bestärkt, dass man die Transformation selbst in die Hand nimmt und wenig auf externes Beratungsknowhow setzt. An dieser Stelle darf sich Beratung guten Gewissens in Erinnerung rufen, denn es braucht bei derartigen Transformationen Orte und Formate, die einer Organisation dabei helfen, sich selbst beim Verändern zu beobachten. Gerade systemische Beratung wird hier eine wertvolle Ressource sein.

Diese erste Auswahl an Beobachtungen zeigt schon, dass mit der Verwendung von agilen Methoden einiger Mehrwert zu generieren ist, aber große Vorsicht bei der Implementierung gefragt ist.

Bei unserer „Impulse by komunariko“-Veranstaltung am 30.5. möchten wir unter anderem diesen Faden mit Ihnen aufgreifen, ihnen ein paar bewährte Rezepte vorstellen und Erfahrungen mit Ihnen austauschen.

Wir freuen uns darauf, Sie dort zu treffen!

Quellen:

www.agilemanifesto.org

A. Komus et al (2020) Studie Status quo (Scaled Agile) 2019/2020. Hochschule Koblenz. www.status-quo-agile.de

T. Groth, G Krejci, S. Günther (2021) New Organizing. Wie Großorganisationen Agilität, Holocracy & Co einführen – und was man daraus lernen kann. Carl-Auer Heidelberg


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