Führung virtuell – der Blick zurück nach einem Jahr

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Wie sich neue Zugänge aus der agilen Welt für bestehende Organisationsformen nutzen lassen.

Ein Jahr ist es nun her. Die meisten Unternehmen mussten damals über’s Wochenende die Arbeit auf virtuelle Kooperation umstellen, und seither kommunizieren Führungskräfte und Teams überwiegend digital. Es ist zu erwarten, dass uns viele Aspekte virtueller Arbeit in Zukunft erhalten bleiben. Daher lohnt sich eine Gesamtschau der Verhältnisse.

Homeoffice – Bestandsaufnahme nach einem Jahr

Wie sind nun die Erfahrungen mit virtueller Zusammenarbeit nach diesem Jahr?
Aus den Erfahrungen, die unsere Kunden mit uns im Laufe dieses Jahres geteilt haben, sowie aus veröffentlichten Studien lassen sich ein paar allgemeine Erkenntnisse ziehen.
Viele Führungskräfte haben (gezwungenermaßen?) gelernt, ihren MitarbeiterInnen im Homeoffice ausreichend zu vertrauen. Die meisten MitarbeiterInnen schätzen ihre eigene Performance als gut ein, technische Probleme sind inzwischen weitgehend überwunden. Wurde die Vielzahl der verwendeten Tools und Instrumente zu Beginn noch negativ gesehen, so haben sich nun zufriedenstellende Konventionen der Nutzung eingespielt.
Die Doppelbelastung durch Familienbetreuung oder Homeschooling ist für viele weiterhin Realität, aber ebenso viele unserer Kunden im Homeoffice konnten eine Abgrenzung zwischen Privatem und Beruflichem ziehen (oder sie vermissen die Trennung zunehmend weniger). Wenn auch die sozialen Kontakte weiterhin und schmerzlich fehlen, so ist doch die Gesamtzufriedenheit mit der Situation gestiegen.

Führung weiterhin Baustelle

Beim Thema Führung wiederholen sich aber immer wieder ähnliche Themen. Beispielhaft ein Zitat eines Wiener Bereichsleiters, das zusammenfasst, was wir im vergangenen Jahr öfters hörten:
„Die schnelle Zwischendurch-Kommunikation mit den Mitarbeitern, die in Projekten oder in vielen Terminen sind, geht mir ab. Ich weiß dann nicht, wie die Stimmung ist und kann sie im Falle nicht auffangen. Außerdem ist dadurch unsere Abstimmung so schwierig geworden.“

Die informelle Kommunikation zwischen Tür und Angel fällt weg und damit viel implizites Feedback, das Führungskräften üblicherweise zum Nachsteuern dient und ihnen Orientierung gibt. Der Befund ist zentral. Der virtuelle Kontext schafft nicht nur neue Themen, sondern durch den Wegfall des Austauschens im Vorbeigehen verstärkt er auch jene Unklarheiten oder Schwächen von Führungskommunikation, die schon bisher bestanden.

Virtualität ist wie ein strenger Prüfstein für Führung.
Jede Unklarheit der Führungsarbeit wird schonungslos offengelegt.
Damit wird Virtualität zu einer guten Lernchance für Führungskräfte.

Der Zusammenhalt in den Teams wird nicht mehr so deutlich erlebt bzw. wird er „unsichtbar“. Damit wird auch unklar, ob und wie es eine weitere „Teampflege“ benötigt. Dieser Aspekt verschärft sich nochmals, sobald neue MitarbeiterInnen einzubinden sind. Als Folge dieser latenten sozialen Unsicherheit verschiebt sich der Fokus in Meetings und Gesprächen auf operative Themen. Austausch findet dann eher darüber statt, was „gerade ansteht“ bzw. welche Ergebnisse zu erzielen sind. Gerade jetzt ist aber Führung gefragt: den Blick zu weiten, auch über das Wie zu sprechen und damit nicht im operativen Geschäft unterzugehen.

Es entsteht demnach ein mehrfacher Mangel bei virtueller Kooperation, auf den Führungskräfte eine Antwort geben müssen. Daraus entstehen die unserer Meinung nach relevanten

5 Gestaltungsdimensionen von Führung im virtuellen Raum:


Unmittelbarer Kontakt

1. Deutlicheren Kontakt zu Kollegen, Führung und Unternehmen ermöglichen

  • Wechselseitige Erlebbarkeit über das Sachliche und Anlassbezogene hinausgehend
  • Sichtbarkeit der individuellen Beiträge für das gemeinsame Ziel
  • Aufgreifen auch leiser Signale

Informelle Kommunikation

2. Deutlichere, explizitere Kommunikation

  • Absichten deutlich machen
  • Informationsfluss proaktiv fördern
  • Besprechungen sauber vorbereiten und straff moderieren

3. Passende Gestaltung der Meeting-Landschaft

  • Abfolge und Häufigkeit der Besprechungen anpassen
  • Virtuelle Räume für informelle Kommunikation einrichten (z.B. virtual coffee brake)

Spürbarer sozialer Zusammenhalt

4. Erwartungssicherheit fördern

  • Erreichbarkeit, Verbindlichkeit verstärken, auch in Bezug auf virtuelle Spielregeln
  • Rückmeldungen und Feedback an/zwischen Mitarbeitern im Team: Wo stehen wir, wie geht’s uns?
  • Für sichtbaren Rückhalt in der Organisation sorgen

Fokus und Orientierung

5. Sinn der Arbeit sichtbar machen

  • Den größeren Sinn und Zweck der gemeinsamen Arbeit ansprechen und im Blick halten, Ausrichtung ermöglichen
  • Immer wieder Bezug herstellen zwischen der Arbeit des Teams und den Empfängern der Leistung: Wofür sind wir da? In wessen Leben macht unsere Leistung einen Unterschied?

Beispiel aus der Praxis

Wie sind wir im Falle des Wiener Unternehmens vorgegangen, dessen Bereichsleiter oben zitiert ist?
Wir haben eine Serie von virtuellen Werkstätten eingerichtet, die sich jeweils eines dieser Themen angenommen hat. Zu jedem Termin (à 1,5 oder 2 Stunden) waren sämtliche 12 Führungskräfte des Bereichs eingeladen und haben miteinander ihre Führungspraxis und -erfahrungen reflektiert.

Bei den Werkstätten hat sich folgender Ablauf bewährt:

  1. Einstieg mit einem Erfahrungsaustausch: Was habe ich seit dem letzten Termin ausprobiert? Was hat sich bewährt (best practice), was nicht?
  2. Input des Beraters, um das jeweilige Gestaltungsfeld inhaltlich zu umreißen oder Thesen dazu einzuspielen
  3. Dialog der Führungskräfte dazu, meist in Kleingruppen
  4. Abschließend zogen die Führungskräfte Bilanz zum jeweiligen Thema und nahmen sich konkrete Umsetzungsideen und -vorhaben mit.

Es ist im konkreten Beispiel noch zu früh, um die Wirkung der Werkstätten genauer zu beurteilen, aber schon kurz nach dem letzten Termin ist ein kräftiger Impuls auf die interne Kommunikation und Führungskultur zu beobachten.

Fundamental zieht sich folgende Erkenntnis durch unsere Arbeit im vergangenen Jahr: Es entsteht immer ein wirkungsvoller Mehrwert, wenn die Führungscommunity miteinander zu ihrer Führungspraxis in Dialog tritt – und die Gestaltung virtueller Kooperation ist ein guter Anlass dafür.


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