Agile for Classic – “Der Flirt mit Agilität“
Wie sich neue Zugänge aus der agilen Welt für bestehende Organisationsformen nutzen lassen.
Agile Methoden liegen im Trend. Warum eigentlich? Mit Agilität wird ein sehr großes Versprechen verbunden: Abläufe in der Organisation sollen dadurch leichtfüßiger, Entscheidungen rascher getroffen werden, Mitarbeitende selbständiger und Teams effizienter arbeiten. Dies ergibt in Summe das verheißungsvolle Bild einer so schlanken und wendigen wie effektiven Organisation.
Agiles Arbeiten ist also eine Antwort auf viele Herausforderungen unserer Zeit. Aktuell in der Pandemiesituation verstärkt sich die Unsicherheit und Volatilität und damit der Bedarf, Strukturen und Prozesse zu optimieren. Was vor einiger vielen Zeit noch als „Spleen“ einiger idealistischer Führungskräfte oder Unternehmer/innen galt, nämlich sich mit Design-thinking, Canban, Holocracy, Soziokratie oder Projektorganisation à la SCRUM zu beschäftigen, zeigt sich nunmehr als wirkungsvolle Antwort auf viele Fragen der Zeit.
Die „agile Lösung“ wäre tatsächlich in vielen Fällen hilfreich, aber für viele bestehende Organisationen sind Umstellungen im Sinne einer radikalen Kulturveränderung nicht so ohne weiteres vorstellbar oder werden von den Eigentümer/innen oder verantwortlichen Führungskräften schlicht nicht unterstützt. Zu hoch ist die Schwelle, sich dieser Richtung zu verschreiben, denn die meisten Konzepte von agilen Frameworks präsentieren sich als „all-in“ – also: entweder alle Strukturen und vor allem das Mind-Set umstellen, oder eben nicht agil.
Was liegt also näher, als das Gute von beiden Welten zu nutzen? Aus einem Entweder-Oder ein Sowohl-als-Auch zu machen? Also nicht gleich einen radikalen Wandel anzugehen, sondern in der klassischen Organisation zu verbleiben und agile Herangehensweisen für sich nutzbar zu machen?
Geht nicht? Wir meinen: Doch!
Zugegeben: Agile for Classic zu adaptieren, ist nicht ganz einfach, da viele agilen Methoden mit grundlegenden Prinzipien zusammenhängen. Eine Methode fußt auf einer Haltung, die mittelfristig Entwicklungen größeren Ausmaßes bewirken kann. Kurz gesagt: Bei Einführung von sinnvoll erscheinenden agilen Methoden entstehen Impulse – man kann ein Tool nutzen und auch wieder weglegen, aber eine Haltung prägt sich ein. Es geht darum, eine gute Balance zu schaffen zwischen der hilfreichen Veränderung und dem Erhalt der Identität und Tradition einer Organisation. Es gilt, den Kern der Organisation und die soziale Integration zu bewahren (vgl. H.-J. Gergs, et al. 2018: „Das Agilitäts-Stabilitäts-Paradox“. Springer: Wiesbaden).
Unsere Schlussfolgerung lautet daher: Lassen Sie sich ruhig in Ihrer Organisation auf agile Vorgehensweisen ein, „flirten“ Sie damit, aber tun Sie es mit Bedacht. Die Auswahl geeigneter Tools ist sorgfältig zu überlegen und auch der Prozess der Einführung sehr präzise zu gestalten – mit viel Gespür für den Rahmen, der für Entwicklung zur Verfügung steht.
Ein Kundenbeispiel
Ein Geschäftsführer eines mittelständischen Dienstleistungsunternehmens kommt mit dem Anliegen zu uns, in seiner Organisation etwas verändern zu wollen. Die Remote-Arbeit im Jahr 2020, die Umstellung auf Home-Office und die dadurch vergrößerte Distanz der Mitarbeiter/innen zueinander hat bestehende Herausforderungen in der Zusammenarbeit verstärkt. Es gibt weniger Gelegenheiten für Abstimmungen, Prozesse sind schwerfälliger, Entscheidungswege länger. Das kann sich das Unternehmen nicht leisten. Daher meint der Geschäftsführer, dass seine Teams autonomer arbeiten sollten. Was aber auch klar ist, dass ein Change in Richtung einer „agilen Organisation“ für die Gesamtorganisation nicht vorstellbar ist.
Damit wird klar: Die Organisation ist bereit, agile Methoden oder Herangehensweisen für ihre klassisch aufgestellte Organisation zu nutzen. Im Rahmen eines 2-stündigen Orientierungs-Workshops – mit der Zielrichtung „Was sind unsere Schmerzpunkte und was wollen wir erreichen?“ – kam es zu einer Identifikation der Schwerpunkte und möglicher Hebel für Veränderung, die mit agilen Methoden angegangen werden könnten.
Daraus wurden drei 1-tägige Tool-Trainings Agile for Classic, wobei ein Tag für Führungskräfte und zwei Tage für Teams genutzt wurden. In den Trainings wurde jeweils das grundlegende agile Mind-set vermittelt und Erfahrung mit Tools gesammelt sowie Umsetzungsmöglichkeiten ausgelotet. Aufgrund der Pandemiesituation wurden die Workshops online angeboten mit vielen interaktiven Methoden und Austauschmöglichkeiten, um die inhaltlichen Impulse gut zu integrieren. Danach hatten die Teams Zeit zum Ausprobieren und Erfahrung-Sammeln und konnten diese einige Wochen später in einem Review-Workshop nochmals reflektieren.
Parallel dazu wurden auf Anfrage begleitende Coachings für Führungskräfte angeboten, um auf Herausforderungen im Veränderungsprozess adäquat zu reagieren und einen supervisorischen Rahmen zu gewährleisten.
Auch wurde anhand der Kernprozesse gemeinsam mit den Verantwortlichen darüber verhandelt, wer in welchem Schritt durchführende oder koordinierende Aufgaben innehat, wer informiert wird oder wer beratend einbezogen werden muss. Anhand einer Verantwortlichkeitsmatrix wurden sinnvolle Abläufe visualisiert. Für die Einigung wurde ein Konsent-Vorgehen genutzt und erfahrbar gemacht, um diese auch in Besprechungen bei Bedarf etablieren zu können.
In der Implementierung, Schritt für Schritt, wurde klar, dass
- ein schrittweises Vorgehen, im Sinne von kontinuierlich impulsgebend, nachhaltiger wirkt als ein radikales „Reinpreschen“ – in iterativen Schritten lässt sich Entwicklung agil umsetzen.
- schnelles Ausprobieren und zwangloses Erproben im Tagesgeschäft ganz wichtig ist, damit Mitarbeiter/innen ohne Druck in das neue Herangehen hineinwachsen können.
- Führungskräfte ihrerseits Unterstützung brauchen, um die Entwicklungen gut von innen heraus begleiten zu können.
Im Ergebnis ist die Organisation in Bewegung geraten, hat sich im „Flirt mit der Agilität“ gespielt und auch gefordert, wurde aber letztlich nicht überfordert. Die eingeführten agilen Herangehensweisen zeigen jetzt schon Wirkung, auch wenn manches noch ungewohnt ist: mehr Kommunikation an den richtigen Stellen, mehr getaktetes Vorgehen und mehr Offenheit für Rückmeldungen und Ideen.
Kommende Events zum Thema Agilität
Mo, 3. Mai 2021: Agiler Online-Abend: Unternehmenskultur: Gestern – Heute – Morgen. Gesprächspartner: Edgar & Peter Schein
Online-Abend mit LIVE-Gesprächen mit Edgar und Peter Schein. Teilnehmer*innen können Fragen zum Thema gleich nach Anmeldung formulieren. Diese bilden die Grundlage zur Diskussion. Der Impuls zum Thema: Agile Transformation: Agiles Organisationsdesign – Agile Methoden – Agiles Mindset“